Erfahrungsbericht der pferdegestützten Familienintensivtherapie der Familie Fischer im Zentrum für Therapeutisches Reiten Amistad verfasst von Frau Fischer
„Am Abend vor unserem ersten Reittag hatten wir die -wie uns erschien- große Aufgabe, Finn unserem elfjährigen (gesunden) Sohn beizubringen, dass er nach der Rückkehr seiner zweiwöchigen Ferienfreizeit am späten Abend den nächsten Morgen früh aufstehen muss - zum Reiten. Aber schnell stellten wir fest, dass er sich euphorisch darauf freute. Unsere Einstellung war erst einmal eher zurückhaltend: Für mich waren bis dahin Tiere –ob groß, ob klein schon mal perse einfach nur beängstigend und auch mein Mann, Jörg war bis dato nicht als der große Tierliebhaber in Erscheinung getreten. Na ja, aber wenn´s doch für Jule (13J. Rett-Syndrom) gut ist und Finn vielleicht auch noch was davon hat und Freude daran hat….
Schon in den intensiven Vorgesprächen bekamen wir eine Vorstellung davon, welche Auswirkungen eine pferdegestützte Familienintensivtherapie idealerweise haben könnte. Unsere Wünsche für Jule lagen ganz klar im orthopädischen Bereich und Finn würde bestimmt ein kleiner Zuwachs an Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer gut tun. Die Wünsche für uns selbst standen uns wohl ins Gesicht geschrieben: Überwindung unserer Scheu! So machten wir uns dann voller Spannung, jedoch durchaus sehr aufgeschlossen auf den Weg nach Straelen. Die erste Herausforderung, wie komme ich an den Hunden vorbei, ließ mein Herz direkt schneller –nicht gerade höher- schlagen. Ein Begrüßungskaffee in lockerer Runde nahm uns die erste Anspannung wenngleich Finn dieses für völlig überflüssig hielt. Wir durften unsere Wünsche für den heutigen Tag formulieren. Und dann ging´s zu den Pferden. Zunächst die Kinder –puh, ich war erst mal verschont! Der ganz kleine Santos für Jule, Finn schon mit etwas Pferdeerfahrung sollte es mit Cajol versuchen. Jule hatte mit einem schnellen Seitenblick auf Santos erst mal alles gesehen und demonstrierte Desinteresse. Da hatte Finn seinen ersten Auftritt: Ganz stolz konnte er Mama und Papa zeigen, wie es geht, ein Pferd zu striegeln, die Hufe auszukratzen und das Zaumzeug anzulegen. Finn drehte mit viel Geschick in Begleitung von Papa und Therapeutin Anja seine ersten Runden.
Nicht einfach nur im Schritt, sondern schon mit ersten „Turnübungen“ auf Cajol und er traute sich auch direkt zu, an der Longe zu traben und nach etwas Zögern sogar zu galoppieren. Der Papa war beeindruckt. Parallel sollte Jule gleich merken, dass Träumen heute und hier nicht angesagt war: Ihr Interesse an Santos wurde ganz allmählich mit geführter Hand beim Befühlen des warmen, weichen Pferdekörpers geweckt.
Nach diesem ersten intensiven sich-vertraut-machen kam der große Augenblick: Wir hoben Jule auf Santos Rücken. Zunächst im Seitsitz – ihre fest angespannten Beinmuskeln ließen einen Spreizsitz – das war mir ganz klar- auf keinen Fall zu. Nach ersten unsicheren, hilfesuchenden Blicken zu Mama entspannte sich ihr Ausdruck und der Blick wurde freundlicher. So begannen wir unseren ersten Ausritt entlang der Felder.
Jule genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit von uns vier Erwachsenen und dankte es schon nach kurzer Zeit mit einem strahlenden Lachen. Ich beneidete Ute und Conny nicht - so sehr sie Jule sichern und stützen mussten, so ungemütlich und anstrengend sah ihre Haltung aus. Abereine immer glücklicher werdende Jule war die Belohnung für diese Anstrengung. Sie ließ ihre sonst so sehr angespannten Muskeln allmählich lockerer. Um sie nicht zu überfordern beließen wir es erst mal bei einem kurzen Ausritt. Jule, so wie alle anderen, hatten sich ihre Pause redlich verdient. Mittagszeit! Bei einer ausgiebigen, leckeren Brotzeit wurden die morgendlichen Erlebnisse ausgetauscht.
Und dann waren wir dran: Erstes Kennenlernen der für uns in Frage kommenden Pferde: Spricht mich eins der Tiere an? Was fühle ich im Beisein eines jeden einzelnen Pferdes/Ponys? Welches könnte „mein“ Pferd werden? Jörg wie auch ich beäugten vorsichtig die vier Tiere –Bille, Finja, Rambo und Kleiner Onkel- schlichen in gebührendem Abstand um sie herum, legten etwas bang unsere Hände an die einzelnen Pferdekörper und versuchten zu erspüren, wer zu uns passt. Mein erstes Sitzen auf einem Pferderücken kann ich mit der Wahl des kleinen Rambo hinauszögern – er würde mich nicht tragen können. Jörg dann doch um einiges mutiger saß schon bald auf Finja, lernte erste Kommandos und den behutsamen Einsatz der Reitgerte als verlängerter Arm kennen. Mir genügte an diesem ersten Tag, ein Pferd an der Leine/Longe mittels Kommandos und Körpersprache in die von mir gewünschte Richtung zu lenken, obschon mit der Gewissheit, eine bessere Gelegenheit das Reiten auszuprobieren als hier, so schnell nicht wieder zu bekommen. Mit einer gemeinsamen Runde zur Reflektion unserer vielen neuen Eindrücken schloss dieser schöne erste Tag.
Am zweiten Tag kamen wir schon viel entspannter in Straelen an. Wir hatten die Gewissheit gewonnen, dass wir von einem super Team betreut werden, dem wir voll vertrauen konnten. Der zweite Tag sollte dann auch einige Highlights parat haben. Nach den positiven Erfahrungen vom Vortag und weil Jule gut gelaunt war, machte Ute bald den verwegenen Vorschlag, Jule ganz normal mit dem Pferderücken zwischen ihren Beinen zu setzen. Na ja, wie gesagt, ich steh allem aufgeschlossen gegenüber, aber wir kriegten sonst kaum eine Faust zwischen die Knie. Trotzdem, wir wagten es! Eine riesige Anstrengung für Jule, aber sie ließ sich darauf ein und saß für mehr als zehn Minuten in dieser für mich so unvorstellbaren Position auf Santos Rücken. Meine Erwartungen waren schon jetzt mehr als übertroffen! Mittags hatte sich nicht nur Jule, sondern natürlich auch Santos eine Stärkung verdient. Weil Ute aufgefallen war, dass Jule am Vortag bei Santos Belohnungssnack mitkaute, bekam sie heute auch was. Und tatsächlich, Jule, die sonst fast ausschließlich über eine Sonde ernährt wird, verputzte ein ganzes Stück Schokoladenkuchen.
Und dann war auch ich dran. Nach dem langsamen Herantasten an die Existenz eines Pferdes in meiner unmittelbaren Nähe gestern, überwand ich meine Angst und saß schlussendlich auch auf einem Pferderücken! Das allein schon ein tolles Gefühl! Aber der Nachmittag setzte noch einen drauf: Ich ritt am zweiten(!) Tag im Galopp und fühlte mich wie King Louis persönlich.
In den folgenden Tagen lernten wir noch viel über das Führen von Pferden, die Kommandos, die Hierarchie, „Pferdeflüsterei“, bis hin zu dieser erstaunlichen Sensibilität der Tiere.
Viele Highlights ließen uns immer wieder staunen und mit Stolz erfüllen. Ute gab uns das Vertrauen (ich glaube zum Erstaunen der anderen Therapeutinnen ;-), die Pferde ohne Leine allein durch Kommandos und Zeichen durch einen Parcour zu führen. Ich ließ den „armen“ Rambo nur durch meine Körperhaltung und Kommandos im Round Pen in vollem Galopp ganz plötzlich die Richtung ändern. Jörg und Finn lenkten ihre Pferde selbstständig nur mit den Zügeln durch den Wald und wir trabten freihändig -zunächst noch sehr nach Halt suchend, aber dann immer sicherer werdend unsere Runden und konnten schon bald währenddessen zugeworfene Bälle fangen und werfen. Und Jules Möglichkeit, die Anspannung ihrer Muskulatur zu lösen setzte uns selbst aber auch unsere Physiotherapeutin schier in Erstaunen.
Wir lernten aber auch, den Pferden mit dem nötigen Respekt zu begegnen. Sie sind keine blind dressierten Wesen, sondern zeigen Charakter, können sich erschrecken, wollen zügig aus dem Wald nach Hause und sind wie wir genervt von Mücken und Bremsen. Jedoch hatte ich in keinem Augenblick das Gefühl, dass eine Situation nicht durch die Therapeutinnen beherrschbar gewesen wäre. Krönender Abschluss dieser intensiven 5 Tage war der Ausritt in den Wald mit Picknick. Alles was wir und insbesondere Jule brauchte (Matratze, Rollstuhl…) wurde vorab mit dem Auto an unseren Picknickort transportiert. Und dann ging‘s los durch den Wald. Welch ein Unterschied es war in der Reithalle oder übers Feld oder im Wald zu reiten. Ein tolles aber auch respektvolles Gefühl, die vielen Unwägbarkeiten, die der Wald mit sich bringt –natürlich mit der nötigen Unterstützung- meistern zu können.
All dies wurde uns mit viel Gespür und einfühlsamem Zuspruch durch Ute und ihr Team – Anja, Anna, Conny und Meike - ermöglicht. Wir wurden entsprechend unseren Möglichkeiten gefördert und gefordert. Und wenn ich heute darüber nachdenke – ein paar Monate später- und wir bei Finn in der Schule einige überraschende positive Veränderungen über ihn hören, beschleicht mich der Gedanke, dass es was damit zu tun haben könnte. Ich selber habe deutlich weniger Angst vor Tieren. Z.B. ist mir der Hund meiner Freundin seitdem so vertraut, dass ich ihn an mich heranlassen kann wie sonst noch nie. Die Orthopädin, die Jule vier Wochen später betrachtete, war hochgradig erstaunt über die Verbesserung ihrer körperlichen Verfassung. Es war also insgesamt eine ganz tolle und wertvolle Erfahrung für uns alle. Vielen Dank dafür!!!“